
Bewegung im Kopf – Fantasiereisen im Sport
Tiefenentspannung dank fokussierter Führung
24.03.2025 • 4 min Lesezeit
Die Kraft der Imagination
Erinnern Sie sich, als Kind auf dem Rücken gelegen und die ziehenden Wolken beobachtet zu haben? In gewisser Weise haben Sie sich auf eine Fantasiereise begeben. Fantasiereisen oder auch Märchen- und Traumreisen sind imaginative Verfahren – eine Mischung aus Meditation, Imagination und geführten Visualisierungen.
Viele Kulturen kennen diese Form der meditativen Praktik: Zum Beispiel arbeiten fernöstliche Traditionen mit Visualisierungen von Landschaften, Licht oder Göttern zur geistigen Fokussierung. Schamanische Reisen in indigenen Kulturen nutzen imaginative Zustände, um Wissen zu erlangen oder Heilung zu fördern.
In unseren modernen Zeiten sind Fantasiereisen ein Mittel zur Entspannung, Stressbewältigung oder Persönlichkeitsentwicklung. Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung arbeiten mit Vorstellungsbildern zur Tiefenentspannung. In der Pädagogik sind Fantasiereisen Teil von Achtsamkeits- und Entspannungsprogrammen, um Kreativität, Selbstvertrauen und Ruhe zu fördern. In der Erwachsenenbildung und Persönlichkeitsentwicklung, aber auch in der Psychotherapie werden sie genutzt, um neue Perspektiven oder Lösungen für Probleme zu finden.
Im Sport dienen Fantasiereisen drei Zwecken: Sie können eine eigenständige Stundeneinheit bilden, sie können die Entspannung nach einer Sporteinheit fördern oder sie bieten Anlass zu kreativer Bewegung. Dann spricht man von Bewegungsreisen.
Zuhören oder mitmachen?
Die klassische Fantasiereise besteht aus einer Geschichte, die Bilder hervorruft. Die Zuhörenden werden aufgefordert, sich mit den Bildern zu verbinden und aktiv mitzugehen. Wie eng man der vorgegebenen Geschichte folgt oder wie offen man sich in „seiner Welt“ bewegt, entscheiden die Teilnehmenden selbst.
Der Erzähler oder die Erzählerin beschreibt kein Abenteuer, keine spannenden Ereignisse, sondern besuchbare Bilder. Fantasiereisende erleben daher meist Natur: Ein Gang über die Felder, ein Besuch bei der Quelle im Wald, ein Rundgang durch eine Burgruine. Sie folgen ziehenden Wolken oder einem Fluss oder besuchen einen See oder eine Wiese in den Bergen. Die Vorstellung angenehmer Bilder fördert Entspannung und baut Stress ab.
Auch Kinder versinken – ihrer kindlichen Natur gemäß – gerne in fantastischen Welten. Für sie gibt es eine Sonderform der Imagination: die Bewegungsreise. Kleine Rahmengeschichten betten Bewegungseinheiten in eine kindgerechte Erzählung, immer interaktiv, gerne gespickt mit kleinen Wissenshäppchen. Eine Reise dauert üblicherweise zwischen drei und 15 Minuten und richtet sich vor allem an Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter. Da wird etwa in einer Actiongeschichte ein Haus gebaut. Handtücher können eine zentrale Rolle spielen: Mal sind sie der Wind, mal Hausfundament, Ziegel oder Dachbalken. In einer Katzengeschichte verwandeln sich Kinder in geschmeidige Stubentiger. Oder fliegen mit einem Gleitschirm über die Alpen und erfahren ganz nebenbei etwas über Thermik.
Für wen sind Fantasiereisen geeignet?
Kinder lieben es, sich durch fantasievolle Geschichten zu bewegen. Die bunten Storys motivieren sie, neue Bewegungsformen auszuprobieren, die sie zuvor selten oder noch nie ausgeführt haben. Dadurch lassen sich gezielte Bewegungsabläufe spielerisch erlernen. Beispielsweise können Nichtschwimmer auf dem Bauch liegend erste Schwimmbewegungen üben, wenn die Geschichte sie ans Wasser entführt. Oder sie schleichen auf Zehenspitzen, wenn es darum geht, möglichst lautlos zu sein.
Viele dieser Bewegungen entdecken Kinder zufällig, doch in Bewegungsgeschichten werden sie bewusster und gezielter ausgeführt. Solche interaktiven Erzählungen fördern zudem die Konzentrationsfähigkeit, da sie oft eine Abfolge verschiedener Bewegungen erfordern.
Neben der motorischen Entwicklung regen Bewegungsgeschichten auch die Fantasie an. Kinder können aktiv an der Gestaltung mitwirken: Sollen sie lieber über den Boden robben, um nicht entdeckt zu werden? Müssen sie sich vollkommen still verhalten, wenn ein Löwe auftaucht? Oder erstarren sie komplett, um nicht aufzufallen?
In Fantasiereisen ist alles möglich. Kinder und Erwachsene können neue Wege finden, mit Stress oder Ängsten im Alltag umzugehen. Normale Fantasiereisen sind für gesunde Menschen nicht gefährlich. Menschen, die an einer Wahnvorstellung oder einer Psychose leiden sowie Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung sollten jedoch auf die Reise in die eigene Imagination verzichten.
Vorbereitung und Ablauf
Üblicherweise besteht eine Fantasiereise aus fünf Phasen.
1. Einstimmungsphase
Die Teilnehmenden kommen zur Ruhe und werden in die Fantasiereise eingeführt. Es wird eine angenehme Atmosphäre erschaffen, vielleicht mit Anwendung ätherischer Öle und Hintergrundmusik oder Naturgeräuschen.
2. Übergangsphase (Reisebeginn)
Jetzt heißt es ankommen: das Zurechtruckeln auf der eigenen Liegefläche – und die Bereitschaft zur Entspannung. Hier wird die Fantasie angeregt und es werden erste bildhafte Vorstellungen erzeugt. Sätze wie: „Stell dir vor, du stehst auf einer blühenden Wiese, die Sonne wärmt deine Haut…“ schließen mehrere Sinneseindrücke ein und eignen sich für den Einstieg.
3. Hauptphase (Intensives Erleben)
Die Hauptphase bildet den Kern der Fantasiereise. Hier entfaltet sich die Geschichte und die Zuhörenden tauchen tief in ihre Vorstellung ein. Um die Fantasie zu intensivieren, werden Sinneseindrücke möglichst lebendig beschrieben – Geräusche, Gerüche, Berührungen oder visuelle Elemente spielen eine wichtige Rolle.
4. Rückkehrphase
Nachdem die Fantasiereise ihren Höhepunkt erreicht hat, folgt die sanfte Rückkehr in die Realität. Die Teilnehmenden werden langsam aus ihrer Vorstellung herausgeführt. Dabei wird die Geschichte allmählich ausgeblendet und das Bewusstsein für die Umgebung wird wieder geweckt. Anschließend tun ein paar Bewegungen dem Kreislauf gut.
5. Reflexions- und Abschlussphase
Zum Abschluss der Fantasiereise bekommen die Teilnehmenden Zeit, die Erfahrung nachwirken zu lassen. Sie öffnen langsam die Augen und nehmen ihre Umgebung bewusst wahr. Optional kann ein kurzer Austausch stattfinden, um über Gefühle und Empfindungen zu sprechen.
Wenn Kinder auf Bewegungsreisen gehen
Für Bewegungsreisen bei Kindern gilt dasselbe wie für jede Sportstunde: Eine gute Vorbereitung ist essenziell. Die Bewegungsreise umfasst die gesamte Sportstunde, somit empfiehlt es sich, den Kreislauf der Kinder im Vorfeld zu aktivieren und zudem überschüssige Energie mittels Fangspielen abzupuffern. Anschließend sollte die Körperwahrnehmung der Kinder aktiviert werden, damit sie sich mental und physisch auf das anstehende Szenario einlassen können.
Spielerische Aufwärmübungen wie Kettenfangen bieten sich hierfür besonders an. Dabei fängt ein Kind nach und nach weitere Mitspielerinnen und Mitspieler, sodass eine immer länger werdende Kette entsteht. Nach dieser dynamischen Aktivierung helfen ruhigere Bewegungen, das Körperbewusstsein zu schärfen und die Kinder auf die Bewegungsreise einzustimmen. Dazu gehören bewusstes Gehen auf Zehenspitzen und Fersen, sanftes Schwingen der Arme oder leichtes Klopfen auf Beine und Arme.
Auch die Gestaltung des Raumes spielt eine entscheidende Rolle. Sowohl für Fantasie- als auch für Bewegungsreisen sollte die Umgebung den Bedürfnissen der Kinder angepasst sein: ausreichend Platz für Bewegungen, eine angenehme Raumtemperatur und eine ruhige Atmosphäre. Klare Anweisungen und sanfte Übergänge erleichtern es den Kindern, sich auf die Reise einzulassen und diese aktiv mitzugestalten.
Nötig: eine Geschichte
Was braucht eine klassische, gelesene Fantasiereise? Eine Geschichte. Sammlungen mit Reisegeschichten bietet der Buchhandel. Viele Anthologien drehen sich um ein spezielles Thema wie beispielsweise das Meer; manche haben bestimmte Berufe oder Lebensherausforderungen im Fokus.
Eine umfassende und stetig wachsende Sammlung von Bewegungsreisen für Kinder finden Verantwortliche beispielsweise auf dem Praxisportal des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen.
Was braucht die Reise noch? Eine erzählende Person. Diese sollte ruhig und textsicher sein, damit die Konzentration nicht abgelenkt wird.
Die Reise kann im Sitzen stattfinden, meist jedoch liegen die Reisenden auf dem Boden, auf Matten, Decken oder Kissen, und tragen bequeme und wärmende Kleidung. Handys aus, Tür zu, die Störfaktoren müssen draußen bleiben. Eine schöne Alternative ist es, in der warmen Jahreszeit draußen auf Fantasiereise zu gehen: im Garten, auf einer Wiese, in der Natur.
Kinder auf Bewegungsreise brauchen natürlich passende Kleidung für ihre Abenteuer und passendes Schuhwerk. Sind Requisiten nötig – Handtücher, Bälle, was immer denkbar ist –, sollten diese schon bereitliegen.
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