Was Sie zur ärztlichen Schweigepflicht wissen sollten
08.09.2020
Wir werden immer sensibler, wenn es um den Umgang mit unseren Daten geht – und das ist gut so. Allerdings ist die Umsetzung der gesetzlichen Datenschutzbestimmungen in Alltag und Beruf manchmal schwierig. Dies gilt zum Beispiel für Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern. Angehörige erbitten Auskunft über den Gesundheitszustand von Patienten. Doch was dürfen Mediziner und Pfleger wem mitteilen? Müssen sich Angehörige immer ausweisen? ARAG Experten geben Auskunft.
Schweigepflicht: Auskunft nur mit Zustimmung des Patienten
Ein naher Freund oder Verwandter ist als Notfall in eine Klinik eingeliefert worden. Ganz natürlich wollen Sie in so einem Fall sofort wissen, wie es dem Patienten geht. Wenn Sie vor Ort sind, ist das ganz einfach: Sie fragen einen Arzt oder eine Ärztin und bekommen prompt sachkundige Auskunft über den Gesundheitszustand des Patienten? Nein, so einfach ist es eben nicht! Sowohl aus den Berufsordnungen der Landesärztekammern, als auch aus dem Strafgesetzbuch (StGB, Paragraf 203) geht hervor, dass Ärzte einer Schweigepflicht unterliegen. Verstoßen sie dagegen, droht ihnen im schlimmsten Fall ein Jahr Haft.
Ärzte dürfen demnach nur dann über den Gesundheitszustand eines Patienten Auskunft erteilen, wenn der Patient sie entweder ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden hat oder man nach Sachlage mit einiger Sicherheit mutmaßen kann, dass der Patient dies beabsichtigte. Problematisch wird es, wenn keine Patientenverfügung vorliegt, der Patient keine Erklärung zur Schweigepflichtentbindung abgegeben hat, und nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern. Dabei ist es zumindest aus rechtlicher Sicht unerheblich, wie nah der Patient Ihnen steht oder mit Ihnen verwandt ist. ARAG Experten raten daher dringend, beizeiten eine Schweigepflichtentbindungserklärung zu hinterlegen. Wer eine Patientenverfügung abgibt, kann darüber hinaus festlegen, wer im Ernstfall Entscheidungen treffen darf.
Keine Schweigepflicht bei Corona
Stellt ein Arzt bei einem Patienten eine Covid-19-Infektion fest, schreibt das Infektionsschutzgesetz eine Meldepflicht vor. Innerhalb von 24 Stunden muss er dem zuständigen Gesundheitsamt die Kontaktdaten der betroffenen Person und die wahrscheinliche Infektionsquelle nennen, damit der Patient möglichst umgehend isoliert und Kontaktpersonen ermittelt werden können.
Weitere Ausnahmen von der Schweigepflicht
Auch bestimmte Infektionserkrankungen wie etwa Masern, Hepatitis A bis E oder Windpocken muss der Arzt dem Gesundheitsamt mit den Personalien des Patienten nennen. Kann er direkt oder indirekt z. B. AIDS oder Malaria nachweisen, muss er den Befund anonym an das Gesundheitsamt übermitteln, das heißt ohne persönliche Daten des Patienten zu nennen. Auch Berufsunfälle und -krankheiten muss ein Arzt melden. Und zwar an die Unfall- und Krankenversicherung. In letzter Konsequenz kann der Patient zwar einfordern, dass die Diagnose geheim gehalten wird, aber dadurch riskiert er seinen Anspruch auf Versicherungsleistungen.
In einem konkreten Fall durfte eine Berufsunfähigkeitsversicherung sogar von einem Patienten verlangen, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Es lag der Verdacht vor, dass bei Vertragsschluss falsche Angaben gemacht wurden. Dabei flog eine Erkrankung auf, die der Patient nicht angegeben hatte. Am Ende musste der Versicherer keine Rente zahlen, obwohl jahrelang Beiträge gezahlt wurden (Bundesgerichtshof, Az.: IV ZR 289/14).
Rechtfertigender Notstand
Liegt ein so genannter rechtfertigender Notstand vor, muss der Arzt sein Schweigen zumindest der Polizei gegenüber brechen. Das ist der Fall, wenn schwerwiegende Schädigungen oder der Tod zu befürchten sind. Erfährt ein Arzt beispielsweise von seinem Patienten, dass dieser unter Alkohol- oder Drogeneinfluss Auto fährt und er kann ihn nicht davon abbringen, muss er die Behörden informieren. Allerdings weisen die ARAG Experten darauf hin, dass nicht jedes sozial schädliche Verhalten das Brechen der Schweigepflicht rechtfertigt. Der Arzt muss also gründlich abwägen, bevor er handelt, und im Zweifel einen Anwalt um Rat fragen. Gegenüber Dritten gilt die Schweigepflicht in diesem Fall weiterhin.
Schwere Straftaten
Handeln müssen Berufsgeheimnisträger, wenn sie von geplanten schweren Straftaten wie beispielsweise Mord, Raub, Erpressung oder Anschlägen erfahren. Dann sind sie sogar verpflichtet, Anzeige zu erstatten. Wer sich nicht daran hält, dem drohen Geld- oder Freiheitsstrafen.
Diese Grenzfälle gibt es
Bei der Einhaltung der Schweigepflicht gibt es Grenzfälle, in denen der Arzt selbst entscheiden muss, ob er seine Schweigepflicht bricht. Aus strafrechtlicher Sicht kann es sich dann um einen Fall des sogenannten rechtfertigenden Notstandes handeln. Stellt sich bei einer Untersuchung beispielsweise heraus, dass sich sein Patient mit einer sexuell übertragbaren Krankheit angesteckt hat, kann er seinen Patienten zwar ermahnen, dem Partner davon zu erzählen. Aber er kann es auch selbst übernehmen, den Partner seines Patienten über die Krankheit zu informieren. Stellt er bei einem anderen Patienten beispielsweise fest, dass dieser aufgrund einer Epilepsieerkrankung nicht mehr als Busfahrer arbeiten kann, muss er abwägen: Kann er seinen Patienten überzeugen, sich fahruntauglich zu melden? Oder informiert er zunächst die Familie des Patienten, damit sie ihn überzeugt, das Busfahren einzustellen? Oder hat er den Eindruck, dass gutes Zureden nicht hilft und er den Arbeitgeber informieren muss?
Als Patient hat man übrigens stets das Recht, seinen Arzt von der Schweigepflicht zu befreien. Das muss nach Auskunft der ARAG Experten nicht einmal schriftlich erfolgen, sondern kann auch mündlich geschehen.
Fernmündlich dürfen Ärzte Auskünfte über Patienten nur an Personen ausgeben, die dazu autorisiert sind. Auch das Pflegepersonal ist in diesem Zusammenhang in der Regel angewiesen, die Fragen der besorgten Anrufer nur zu beantworten, wenn sie den Anrufer an seiner Stimme erkennen und sicher sind, dass es sich um die angegebene Person handelt.
Selbst einfachste Fragen über den Aufenthalt in der Einrichtung oder die harmlose Frage nach dem Wohlbefinden des Patienten dürfen ansonsten nicht beantwortet werden. Klingt streng, ist aber aus rechtlicher Sicht notwendig.
Medizinisches Personal und Ärzte dürfen sich nur über den Gesundheitszustand eines Patienten austauschen, wenn alle Beteiligten zum unmittelbaren Behandlungsteam gehören. Auch ein Informationsaustausch ohne Behandlungsbezug stellt nämlich ein datenschutzrechtliches Problem dar.
Das passende Gerichtsurteil
Keine ärztliche Schweigepflicht bei Berufsunfähigkeitsversicherung
Die ARAG Experten weisen darauf hin, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung im Leistungsfall auch ohne konkreten Verdacht prüfen darf, ob der Versicherte bei Vertragsabschluss richtige und vollständige Angaben gemacht hat. Liegt hingegen ein konkreter Verdacht vor, darf der Versicherer sogar vom Patienten verlangen, dass dieser seinen Arzt von der Schweigepflicht entbindet.
Werden dabei Erkrankungen entdeckt, die bei Vertragsabschluss nicht wahrheitsgemäß offengelegt wurden, kann der Versicherer auch Jahre später vom Vertrag zurücktreten und eine Rente verweigern, auch wenn jahrelang Beiträge gezahlt wurden (Bundesgerichtshof, Az.: IV ZR 289/14).