Schnee: Wer ist für das Räumen zuständig?
12.12.2019
Schnee ist ja ganz schön – bis es ans Räumen der weißen Pracht geht. Wer ist verantwortlich: Vermieter oder Mieter? Wie breit muss der Pfad auf dem Bürgersteig sein? Und darf man Schnee auf dem Nachbargrundstück lagern? Unsere Experten sagen es Ihnen.
Gängige Praxis ist es, dass Gemeinden ihre Verkehrssicherungspflicht per Satzung oder Verordnung auf Eigentümer übertragen, deren Grundstücke an die Straßen der Gemeinde grenzen. Sind diese vermietet, überträgt der Eigentümer die Räum- und Streupflicht meist auf einen oder mehrere Mieter. Hierbei ist es wichtig, dass Vermieter darauf achten, diese Pflicht schriftlich zu fixieren – entweder im Mietvertrag oder in einer Hausordnung. Denn sie sind diejenigen, die regulär für den Winterdienst zuständig und im Schadensfall mit verantwortlich sind. Daher müssen sie auch regelmäßig kontrollieren, ob ihre Mieter der Verpflichtung nachkommen. Tritt dennoch ein Unfall ein, übernimmt meist die private Haftpflichtversicherung eventuelle Folgekosten wie etwa Schmerzensgeldzahlungen. Bei Vermietern kann die Haus- und Grundbesitzerhaftpflichtversicherung greifen.
Generell müssen die wichtigsten zum Grundstück gehörenden Zugänge begehbar sein. Dazu gehört der Hauseingang, aber auch der Zugang zu Garagen oder Mülltonnen. Private Flächen, die von Passanten nur als Abkürzung genutzt werden, müssen dagegen laut einer Entscheidung des OLG Hamm nicht geräumt und gestreut werden (Az.: 6 U 178/12). Der das Gebäude umgebende oder angrenzende Bürgersteig muss nicht komplett von Schnee oder Eis befreit sein. Hier reicht ein gekehrter Streifen aus, der es zwei Passanten erlaubt, aneinander vorbeizugehen. Doch auch die Fußgänger selbst sind zur Achtsamkeit aufgefordert und können nicht erwarten, dass tatsächlich jede kleinste Eis- oder Schneefläche entfernt wird.
Auskunft über Räum- und Streuzeiten geben meistens entweder das jeweilige Landesgesetz oder die Ortssatzung. Sind diese nicht geregelt, herrscht für Frühaufsteher und Nachteulen Rutschgefahr. Denn an Werktagen kann nicht vor sieben Uhr morgens und nach 20 Uhr abends, an Sonn- und Feiertagen nicht vor acht oder neun Uhr morgens und nach 20 Uhr abends mit geräumten Wegen gerechnet werden. ARAG Experten machen allerdings darauf aufmerksam, dass unter bestimmten Bedingungen Sonderregelungen gelten können. So haben laut einem Urteil des OLG Naumburg Restaurantbesitzer während ihrer Öffnungszeiten auch nach zwei Uhr noch darauf zu achten, dass ihre Wege sicher passiert werden können (Az.: 10 U 54/12). Und auch wenn z. B. in Anbetracht der Wetterlage zu erwarten ist, dass sich während der Nacht Glatteis bildet, darf nicht etwa bis zum nächsten Morgen gewartet, sondern es muss vorbeugend gestreut werden, so das OLG Frankfurt (Az.: 21 U 38/03).
Im Grunde nicht. Weder Arbeitszeiten noch Krankheit befreien den Zuständigen von seiner Verkehrssicherungspflicht. Daher raten ARAG Experten, immer für mögliche Ersatzkehrer zu sorgen. Auch bei Dauerschneefall gilt keine konkrete Ausnahmeregelung. Denn der Räumpflichtige hat den Vorgang an die jeweiligen Witterungsverhältnisse angepasst auszuführen, das heißt, wenn notwendig auch mehrfach zu wiederholen. Jedoch muss er während des Dauerschneefalls oder Eisregens nicht permanent in der Kälte stehen, sondern kann eine Beruhigung des Wetters abwarten. Erst wenn es auf den Wegen so glatt ist, dass Streuen keine positive Wirkung mehr zeigen würde, kann darauf verzichtet werden.
Passende Urteile
Eine Gemeinde ist während Dauerschneefalls nicht verpflichtet, Rollsplitt auf die Straßen aufzubringen. Die Verwaltungsgemeinschaft Kochel am See muss im verhandelten Fall nach dem Sturz eines Mannes auf winterglatter Straße somit auch kein Schmerzensgeld zahlen. Am Tag des Sturzes hatte es durchgehend geschneit, die Verwaltungsgemeinschaft in Bayern hatte die Straßen nicht mit Rollsplitt gestreut – weil Streuen bei Dauerschnee aus ihrer Sicht nichts gebracht hätte. Wären die entsprechenden Straßen am Tag des Sturzes tatsächlich großflächig vereist gewesen, wäre die Kommune zwar in der Streupflicht gewesen, so das LG in seiner Entscheidung. “Es handelte sich aber – wenn überhaupt – um eine einzelne, punktuelle Eisfläche“, entschied das Gericht. Der heute 59 Jahre alte Kläger hatte sich bei einem Sturz vor vier Jahren verletzt und forderte – jedoch erfolglos – mindestens 10.000 Euro Schmerzensgeld, erklären ARAG Experten (Landgericht München II, Az.: 13 O 4859/16).
Ein Vermieter und Grundstückseigentümer, dem die Gemeinde nicht die allgemeine Räum- und Streupflicht übertragen hat, ist regelmäßig nicht verpflichtet, auch über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen.
Die Beklagte ist im verhandelten Fall Eigentümerin eines Anwesens in dem eine Wohnung an die jetzige Ehefrau des Klägers vermietet war. Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass die Räum- und Streupflicht (Winterdienst) für den Gehweg vor dem Grundstück der Beklagten grundsätzlich bei der Stadt München (Streithelferin) liegt. Am 17.01.2010 stürzte der Kläger beim Verlassen des Wohnhauses auf einem schmalen von der Streithelferin nicht geräumten Streifen des öffentlichen Gehwegs im Bereich des Grundstückseingangs vor dem Anwesen der Beklagten. Hierbei zog er sich Frakturverletzungen am rechten Knöchel zu. Die Streithelferin hatte den Gehweg mehrfach geräumt und gestreut, wenn auch nicht auf der ganzen Breite und auch nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Anwesens der Beklagten.
Die Beklagte wiederum hatte keine Schneeräumarbeiten auf dem Gehweg vorgenommen, weil sie ihrer Meinung nach dazu nicht verpflichtet war. Die gegen die Beklagte gerichtete Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Zwar ist ein Vermieter aus dem Mietvertrag verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zum Mietobjekt zu gewähren. Dazu gehört es grundsätzlich auch, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege, insbesondere vom Hauseingang bis zum öffentlichen Straßenraum, zu räumen und zu streuen.
Vorliegend sei der Kläger allerdings nicht auf dem Grundstück, sondern auf dem öffentlichen Gehweg gestürzt. Die dem Vermieter seinen Mietern gegenüber obliegende Verkehrssicherungspflicht beschränke sich jedoch regelmäßig auf den Bereich des Grundstücks. Im Streitfall habe die Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen indes bei der Streithelferin und nicht bei der insoweit vom Winterdienst befreiten Beklagten gelegen. Eine Ausweitung der betreffenden Verkehrssicherungspflicht über die Mietsache beziehungsweise über das Grundstück hinaus kam im Streitfall nicht in Betracht, so die ARAG Experten (BGH, Az.: VIII ZR 255/16).
Wer beim Räumen vor lauter Schnee nicht mehr weiß, wohin mit der weißen Pracht, darf seinen Nachbarn damit beglücken. Zumindest in Maßen. Die ARAG Experten betonen, dass es sich dabei nicht um große Mengen Schnee handeln und er nicht regelmäßig über den Gartenzaun auf das nachbarliche Grundstück geschippt werden darf.
In einem konkreten Fall hatte sich ein Mann beschwert, weil ihm sein Nachbar ab und zu einige wenige Schaufeln Schnee über den Maschendrahtzaun auf seinen Rasen gekippt hatte. Dadurch sei der Rasen angeblich zerstört worden. Die Richter wiesen die Klage auf Unterlassung jedoch ab: Zum einen seien gelegentliche, kleine Mengen unproblematisch, zum anderen habe auf dem Rasen des empörten Nachbarn ohnehin Schnee gelegen, so dass diese zusätzliche geringe Menge keine Beeinträchtigung darstelle (Amtsgericht München, Az.: 213 C 7060/17).
In der Gemeinschaft von Wohnungseigentümern können Entscheidungen bezüglich des Wohnhauses oft ganz demokratisch per Mehrheitsbeschluss gefällt und auch gemeinsam umgesetzt werden. So verhält es sich nach Angaben der ARAG Experten allerdings nicht beim Thema Winterdienst. In einem konkreten Fall hatten die Eigentümer mehrheitlich beschlossen, den Räum- und Streudienst turnusmäßig im Wechsel durchzuführen. Ein neues Mitglied der Gemeinschaft beantragte auf einer Versammlung nun die Vergabe des Winterdienstes an eine Fachfirma, weil er sich nicht in der Lage sah, dieser Pflicht nachzukommen. Die übrigen Eigentümer lehntes dies jedoch ab und verwiesen auf den früher gefasst Beschluss. Die ARAG Experten weisen darauf hin, dass dieser jedoch nichtig ist. Ein Mehrheitsbeschluss umfasst nicht die Befugnis, dem einzelnen Wohnungseigentümer außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten Leistungspflichten wie den Winterdient aufzuerlegen. Hierzu ist eine Vereinbarung der Eigentümer notwendig (Bundesgerichtshof, Az.: V ZR 161/11).
Wer sich in Gefahr begibt, kommt zwar nicht immer darin um, aber muss für Schäden unter Umständen selbst einstehen. So geschehen in einem konkreten Fall, in dem ein Passant nicht den geräumten und gestreuten Weg benutzte, sondern andere, nicht geräumte Wege einschlug. Dort stürzte der Fußgänger prompt und verletzte sich. Seine Klage auf Schmerzensgeld blieb erfolglos.
Nach Auskunft der ARAG Experten sind Fußgänger angehalten, winterdienstlich behandelte Wege auch zu nutzen, wenn diese zur Verfügung stehen. Tun sie dies nicht, dürfen sie sich nicht beklagen, wenn sie ausrutschen und fallen (Landgericht Karlsruhe, Az.: 6 O 205/12).
Wer haftet bei einem Glatteissturz?
Stürzt ein Hotelbesucher bei Glatteis auf dem Gehweg vor einem 5-Sterne-Hotels, hat er unter Umständen trotzdem keinen Anspruch auf Schadensersatz. In einem aktuell entschiedenen Fall war ein Geschäftsmann auf dem Gehweg vor einer Nobelherberge gestürzt. Der Geschäftsmann hatte im Wege der Teilklage zunächst 10.000 Euro Schmerzensgeld gefordert, hielt aber ein Schmerzensgeld von insgesamt ca. 75.000 Euro für angemessen. Zudem behauptete er außergerichtlich, dass er aufgrund des Unfalls mit stationärer Behandlung nicht in der Lage gewesen sei, ein Darlehen über 200.000 Euro aufzunehmen, das binnen drei Monaten zu einem Ertrag in Höhe von 2 Millionen Euro und im weiteren Verlauf zu einer Ausschüttung in Höhe von 35 Millionen Euro für ihn oder seine Gesellschaft geführt hätte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dabei ist sogar unerheblich, ob die Betreiber des Hotels die Räum- und Streupflicht für den Gehweg verletzt haben. Der Geschäftsmann hatte nämlich nicht bewiesen, dass er in einem Bereich des Gehwegs gestürzt sei, für den das Hotel streupflichtig war. Dementsprechend stellte das Landgericht auf die Widerklage der Hotelbetreiber fest, dass dem Kläger weder ein Schadensersatzanspruch aufgrund entgangener Geschäftsgewinne von 1,8 Millionen Euro noch darüber hinausgehende Ansprüche zustehen (KG Berlin, Az.: 4 U 113/15). So eine Widerklage ist im deutschen Zivil- und Strafprozess eine Klage, die in einem Rechtsstreit vom Beklagten ("Widerkläger") gegen den Kläger ("Widerbeklagter") erhoben wird, erläutern ARAG Experten.