Unfälle mit Radfahrern: Wer haftet?
03.02.2021
Immer öfter müssen Radfahrer nach Unfällen haften oder mithaften. ARAG Experten nennen Gerichtsurteile mit Radfahrer-Beteiligung, in denen es um die Haftung ging.
Weitere Gerichtsurteile
Erkennt ein Radfahrer, dass geleerte Mülltonnen auf dem Radweg im Weg stehen, so muss er diesen vorsichtig und mit ausreichendem Abstand ausweichen. Kommt er dabei zu Fall, so hat er keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Abfallentsorgungsfirma. ARAG Experten verweisen auf eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Frankenthal (AZ: 4 O 25/21).
Auf einem Wirtschaftsweg muss ein Radfahrer grundsätzlich mit Fahrbahnunebenheiten rechnen. Stürzt er mit seinem Rad beim Durchfahren eines 50 bis 60 langen und acht Zentimeter tiefen Schlaglochs, das für ihn deutlich zu erkennen und gefahrlos zu umfahren war, stellt das Schlagloch keine Gefahrenstelle dar, vor der zu warnen oder die zu beseitigen gewesen wäre. ARAG Experten verweisen auf eine Entscheidung des OLG Hamm (Az.: 11 U 126/20).
Weicht ein Radfahrer einem entgegenkommenden Pkw aus und stürzt erst beim sich unmittelbar anschließenden Wiederauffahren auf den befestigten Weg, haftet der Pkw-Fahrer dennoch. Denn das Wiederauffahren auf den ursprünglichen Weg sei noch Teil des durch den Pkw ausgelösten Ausweichmanövers, meint nach das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 19.03.2019, Az.: 16 U 57/18).
Fußgänger, die bei Grün über die Straße gehen, müssen die Rechte von Radfahrern auf dem Radweg der gegenüberliegenden Seite beachten. Nach einem Unfall müssen sie ansonsten mithaften. In einem konkreten Fall ging eine Frau bei grüner Ampel über die Straße. Nachdem sie den Gehweg an der anderen Seite erreichte, wollte sie auch den daneben laufenden Radweg überqueren. Dieser führte dort in einer Rechtskurve um die Ampel herum. Dabei stieß sie mit einem Radler zusammen. Von diesem forderte die Fußgängerin Schadensersatz. Die erste Instanz gab ihr Recht.
Nach einer Berufung des Radfahrers kassierte jedoch das Oberlandesgericht Hamm in zweiter Instanz das Urteil und legte eine hälftige Teilung des Schadens fest. Der Vorrang der Frau habe nur für das Überqueren der Straße bei grünem Licht gegolten. Als sie den Radweg kreuzte, hätte sie wieder auf den Radverkehr achten müssen. Dieser ist an der Ampelanlage vorbeigeführt worden. Daher ist der Radler auch nicht abgebogen, sondern dem Verlauf einfach gefolgt. Allerdings fuhr er laut ARAG Experten angesichts der Örtlichkeiten und Witterungsbedingungen zu schnell, wodurch er ebenfalls zur Hälfte haften musste (OLG Hamm, Az.: 26 U 53/17).
Radler dürfen keinen Schadensersatz erwarten, wenn sie auf öffentlichen Radwegen stürzen, weil der Radweg in schlechtem Zustand war. Die Gemeinde muss auch nicht vor dem schadhaften Weg warnen, wenn die Schäden bereits von weitem gut erkennbar sind.
In einem konkreten Fall war ein 80-jähriger Radler auf einem öffentlichen Radweg gestürzt, weil der Teerbelag sich hochwölbte und der Weg von Rissen und Kuhlen durchzogen war. Er verlangte von der Stadt Schmerzensgeld und Schadensersatz. Doch die Schäden waren auch auf weite Sicht gut erkennbar, so dass er sein Fahrverhalten darauf hätte einstellen können. Der Mann ging leer aus (Landgericht Marburg, Az.: 10 O 984/17).
Ist auf einem Radweg ein Überholmanöver mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich, so muss der schnellere Radler gegebenenfalls darauf verzichten. In einem konkreten Fall befuhr eine Radfahrerin einen zwei Meter breiten, als Radweg ausgewiesenen Sand- und Schotterweg. Dabei hielt sie eine Fahrlinie von etwa 80 Zentimeter zum rechten Rand des Weges ein.
Als ein flotter Radler von hinten kam und sie überholen wollte, berührte er die Radfahrerin mit seiner rechten Schulter. Sie kam dadurch zu Fall und zog sich eine komplizierte Oberschenkelfraktur zu, welche zwei Operationen erforderlich machte. Die verunfallte Dame machte den Radler für den Unfall verantwortlich und klagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Beklagte hingegen meinte, dass der Unfall hauptsächlich darauf zurückzuführen sei, dass die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe. Ihre Fahrweise sei außerdem schwankend gewesen. Beides habe den Sicherheitsabstand beim Überholen verkürzt.
Die Argumente des Beklagten vermochten jedoch weder das in erster Instanz mit dem Fall befasste Landgericht (LG) noch das von diesem in Berufung angerufene Oberlandesgericht (OLG) zu überzeugen. Die Richter gaben der Klage der verletzten Radlerin statt. Die Verpflichtung von Verkehrsteilnehmern, gemäß § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO beim Überholen einen Sicherheitsabstand einzuhalten, der eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließt, gilt auch im Verhältnis zwischen zwei Radfahrern auf einem Radweg, erläutern ARAG Experten das Urteil (OLG Karlsruhe, Az.: 9 U 115/15).
Je nach Konstellation haftet der Fahrradfahrer sogar zu 100 Prozent. Benutzt ein Fahrradfahrer nämlich die Busspur entgegen der Fahrtrichtung am äußeren linken Rand und achtet dabei nicht auf den links verlaufenden Bürgersteig, so verhält er sich grob verkehrswidrig. Kommt es dann zu einem Verkehrsunfall – hier mit einem aus einer Grundstücksausfahrt kommenden Kfz, dessen Fahrer sich nicht einweisen lässt – so liegt hierin nur ein geringes Verschulden des Kfz-Führers, das gegenüber dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Radfahrers vollständig zurücktritt (OLG Frankfurt a. M., Az.: 4 U 88/11).
Fährt ein Pkw aus einer Grundstückausfahrt heraus und überfährt einen sich dort befindlichen Radweg, haftet er für einen Zusammenprall mit einem von rechts nahenden Radfahrer nicht, wenn er sich selbst langsam voran getastet hat und der Radfahrer entgegen der für den Radweg vorgeschriebenen Richtung unterwegs war. In diesem Falle greift die ansonsten geltende Vermutung, dass der Ausfahrtvorgang für den Unfall kausal ist, nicht. Und selbst die Betriebsgefahr des Pkw, die ansonsten meist zu einer zumindest anteiligen Mithaftung führt, tritt hier zurück, da das Verschulden des Radfahrers deutlich überwiege (LG Berlin, Az.: 41 O 41/11).
Der Fahrer eines E-Bikes, der ohne Rücksicht auf den Verkehr vom Radweg auf die Fahrbahn fährt, um links abzubiegen, haftet unter Umständen allein. In einem konkreten Fall fuhr ein 80-Jähriger auf seinem E-Bike einen Radweg entlang. Als er an einer Kreuzung nach links abbiegen wollte, fuhr er – ohne sich umzuschauen – schräg auf die Fahrbahn. Eine Autofahrerin konnte nicht mehr ausweichen und touchierte sein Hinterrad. Dadurch kam er zu Fall und verletzte sich schwer. Er verlangte von der Fahrerin des Wagens 20.000 Euro Schmerzensgeld und 500 Euro Schadensersatz für das beschädigte E-Bike.
Das zuständige Gericht sah die Schuld für den Unfall allerdings beim 80-Jährigen selbst. Blindlings die gesamte Straße queren zu wollen, stellt nach Ansicht der Richter einen so groben Fahrfehler dar, dass die von dem Pkw grundsätzlich ausgehende Betriebsgefahr für die Haftungsfrage keine Rolle mehr spielt. Die Pkw-Fahrerin musste weder Schmerzensgeld zahlen noch für den Schaden am E-Bike aufkommen (OLG Hamm, Az.: 9 U 125/15).
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