Lebensmittelverschwendung in Deutschland: Sind Mundraub und Containern erlaubt?
Es wird viel zu schnell weggeworfen – vor allem Lebensmittel. Aber sind Containern und Mundraub eine legale Alternative für die Verschwendung?
05.04.2023 • 5 min Lesezeit
Lebensmittelverschwendung deutscher Privathaushalte
Es werden immer mehr Menschen auf der Erde. Viel wird darüber diskutiert, wie die Ernährung aller sichergestellt werden kann. 90 Prozent der Deutschen halten laut Ernährungsreport 2022 die Reduktion von Lebensmittelabfällen für eine geeignete Maßnahme, um die wachsende Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren. Konträr dazu stehen die kolossalen Lebensmittelabfälle. Im Zuge einer regelmäßigen Berichterstattung an die EU-Kommission gab das Statistische Bundesamt im Juni 2022 an, dass es allein im Jahr 2020 knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle in Deutschland gab. Das Gewicht entspricht etwa 1.000 Eiffeltürmen oder zwei Cheops-Pyramiden. Mehr als die Hälfte davon (59 Prozent) entstehen in privaten Haushalten. Jeder von uns wirft also rund 80 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg. Was viele häufig vergessen: Durch die Lebensmittelverschwendung geht nicht nur Nahrung verloren, sondern ebenso diverse Ressourcen wie etwa Wasser, Technik, Dünger und Agrarflächen, die zur Herstellung dieser Lebensmittel benötigt werden.
Dabei ist es vor allem Obst und Gemüse, was in die Tonne wandert: Apfel, Banane, Gurke und Co. machen 35 Prozent der vermeidbaren Lebensmittelabfälle aus, gefolgt von Brot und Backwaren (14 Prozent), Getränken (12 Prozent) und Milchprodukten mit neun Prozent. Auch nicht überraschend ist die Altersstruktur der Wegwerfer: Je jünger der Haushaltsvorstand, desto mehr verwertbare Lebensmittel werden weggeworfen.
Speiseabfälle in Kitas und Schulen
Laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) landet jedes vierte Gericht in Kindertagesstätten im Mülleimer. Es wird zu viel Essen bestellt, aus Angst, dass es nicht reicht. Zudem landen bei der Essensausgabe zu große oder falsche Portionen auf den Tellern der kleinen Esser oder es stehen Portionen in Einheitsgrößen bereit, die oft nicht auf den Geschmack bzw. den Appetit der Kinder abgestimmt sind. So sind Essensreste vorprogrammiert. In Workshops „Bio kann jeder“ vermittelt das BZfE, wie man Bestellungen optimieren, den Speiseplan anpassen und die Kommunikation mit den Kindern über individuelle Wünsche verbessern kann.
Auch bei der Schulverpflegung ist in puncto Lebensmittelverschwendung noch viel Luft nach oben. Und so steht beim bundesweiten Tag der Schulverpflegung nicht nur alljährlich die kulturelle und kulinarische Vielfalt an Schulen im Mittelpunkt, sondern es geht immer wieder um Vermeidung von Lebensmittelabfällen in der Schule. Dazu gibt es an zahlreichen Aktionstagen in allen Bundesländern zwischen September und November Workshops, Informationsveranstaltungen und Fachtagungen, wo sich Schulträger, Caterer, Eltern und Lehrkräfte untereinander austauschen und erfolgreiche Beispiele präsentieren können.
Essensreste im Restaurant
Laut Greentable e. V., einer Initiative für Nachhaltigkeit in der Gastronomie, werden jedes Jahr knapp 24 Kilogramm Lebensmittel pro Gast weggeworfen. Wer im Restaurant nicht aufisst, sollte daher keine Scheu haben, sich Essensreste einpacken zu lassen und sie mitzunehmen. Die Initiative setzt sich mit der Aktion „Restlos genießen“ dafür ein, dass Gastronomen ihren Gästen aktiv anbieten, Speisereste mitzunehmen.
Tipp: Wer im Restaurant keinen großen Hunger hat, sollte beim Personal nachfragen, ob es möglich ist, eine kleinere Portion zu bestellen. Und sollte es ein Buffet geben: Lieber einen kleinen Teller nehmen und sich mehrfach bedienen, denn große Teller verleiten dazu, sie zu überfrachten.
Mindesthaltbarkeitsdatum versus Verbrauchsdatum
Viele Verbraucher verwechseln Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) und Verbrauchsdatum. Beim MHD sagen die Produzenten, bis zu welchem Tag das Lebensmittel bei richtiger Lagerung seine Eigenschaften wie Geruch oder Geschmack behält. In den meisten Fällen ist es aber noch sehr viel länger genießbar. Händler dürfen die Waren auch grundsätzlich noch nach Ablauf des MHD verkaufen.
Lebensmittel mit Verbrauchsdatum wie Hackfleisch, frische Bratwurst und andere frische Fleischprodukte, Fisch, Feinkostsalate und geschnittene Salate hingegen dürfen nach Ablauf nicht mehr verkauft werden und müssen spätestens am Abend des aufgedruckten Datums aus dem Regal oder der Kühltruhe genommen werden. Sie erkennen das Verbrauchsdatum an der Formulierung „Zu verbrauchen bis…“.
Bei Verfärbungen, Schimmelbildung, Geruchsveränderung oder Gasbildung sollten Sie Lebensmittel besser wegwerfen.
Als eines der ersten Länder hat übrigens Frankreich 2016 ein Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung erlassen. Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern müssen unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen spenden. Wer beispielsweise absichtlich Lebensmittel ungenießbar macht, muss mit einer Geldstrafe von 3.750 Euro rechnen. Anfang 2020 wurde das sogenannte "Loi Garot" auf Großkantinen und die Lebensmittelindustrie ausgeweitet.
Darf man Obst am Straßenrand pflücken?
Dass ein Baum oder Strauch herrenlos ist, ist nahezu ausgeschlossen. Denn grundsätzlich ist der Eigentümer des Grundstücks auch Eigentümer der Bäume und Sträucher, auf dem diese stehen. Ist der Grund und Boden verpachtet, so genießt der Pächter die Rechte. Steht ein Baum am Straßenrand, wird er in der Regel der Gemeinde, dem Kreis, dem Land oder dem Bund gehören. Man muss also davon ausgehen, dass in Deutschland jeder Quadratmeter Grund jemandem gehört.
Entscheidend für eine legale Ernte ist das Einverständnis des Eigentümers. Sonst kann man sich wegen Diebstahls strafbar machen. Da die Tat nur auf Antrag verfolgt wird, gilt der bekannte Spruch „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Übrigens: Ein Strafrichter wird das Argument, man habe sich beim Pflücken auf Angaben im Internet verlassen, nicht gelten lassen. Um beim Pflücken oder Sammeln wirklich sicherzugehen, kontaktieren Sie den Eigentümer. Steht der Baum auf einer öffentlichen Fläche, kann bei der Stadt oder der Gemeinde ein Einverständnis eingeholt werden. Sind Flächen umzäunt, dürfen diese nicht betreten werden. Wer dies tut, macht sich wegen Hausfriedensbruchs strafbar.
Ist Mundraub strafbar?
Wer sich zur Obsternte einen scheinbar herrenlosen Apfelbaum auf freiem Feld auserkoren hat, kann dabei unbewusst eine Straftat begehen – Diebstahl nämlich. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, was für ein Gegenstand gestohlen wird. Egal ob Apfel oder Auto, es handelt sich immer um Diebstahl gemäß § 242 StGB, das besagt: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Der Diebstahl von Sachen mit geringem Wert (bis ca. 50 Euro) wird jedoch nur auf Antrag verfolgt. Polizei oder Staatsanwaltschaft werden nicht von sich aus aktiv. Früher gab es noch den Straftatbestand des Mundraubs. Er galt als sogenannte Übertretung und durfte mit 500 Mark Geldstrafe bzw. einer Haftstrafe bis zu sechs Wochen geahndet werden.
Mittlerweile gibt es Internetseiten wie Mundraub.org, bei der auf einer Deutschlandkarte Obstbäume und Sträucher verzeichnet werden. Deren Früchte sind nach Auskunft der Seitenbetreiber vom Eigentümer zur freien Verfügung gestellt worden – die Macher sprechen von legalem Mundraub. Legal deshalb, weil die Eigentümer der Bäume damit einverstanden sind, dass die Früchte gesammelt werden. Und praktisch, denn die Sammlung an Fundstellen wächst stetig.
Ist Nachernten erlaubt?
Nach der Erntezeit fangen Landwirte in der Regel sofort wieder an, die Äcker und Felder auf die nächste Saison vorzubereiten. Das restliche Gemüse, das vielleicht kleine Schönheitsfehler aufweist, pflügen sie unter. Wenn es Sie aber nicht stört, dass die Kartoffeln zu klein oder die Gurken krumm sind, können Sie den Landwirt fragen, ob Sie sich an den übrig gebliebenen Lebensmitteln direkt vom Feld bedienen dürfen.
Einfach so zuzugreifen ist dagegen Diebstahl. Geschädigte können bei einem Wert von unter 50 Euro entscheiden, ob sie den Diebstahl zur Anzeige bringen. Liegt der Wert des Diebesgutes höher, wird automatisch Anzeige erstattet. Wiederholungstätern kann sogar eine Freiheitsstrafe oder eine Verhaltenstherapie auferlegt werden.
Wer bekommt Nachbars Fallobst?
Um das Schicksal von Fallobst kümmert sich das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Paragraf 911. Obst, das von überhängenden Zweigen direkt in Nachbars Garten fällt oder wegen der Hanglage eines steilen Grundstücks dorthin rollt (so genannter Überfall oder Hinüberfall), gehört dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem es gelandet ist.
Bitte nicht nachhelfen, dass das fremde Obst im eigenen Garten und keine überhängenden Früchte abpflücken. Auch schütteln darf man den Baum nicht, damit die Früchte abfallen. Wer sich nicht daran hält, muss die Ernte herausgeben.
Umgekehrt darf der Baumeigentümer sein Obst zwar pflücken, dabei aber nicht das Grundstück des Nachbarn betreten. Obst, das auf öffentliche Wege fällt, gehört allerdings nicht der Gemeinde, sondern steht weiterhin dem Eigentümer des Baumes zu.
Containern: Strafen, mit denen man rechnen muss
Nach einer Erhebung der IfH Köln verwenden und 77 Prozent der Deutschen Lebensmittel auch noch über dem angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatum. In diesem Sinne ist das sogenannte Containern politisch umstritten. Beim Containern nehmen Personen noch genießbare Lebensmittel oder andere Waren aus Abfallcontainern, die von Supermärkten oder anderen Geschäften weggeworfen wurden. Nach dem Gesetz ist der Lebensmittelabfall aber Eigentum der Supermärkte und das Containern somit Diebstahl oder Hausfriedensbruch und daher illegal.
Einkaufen zum Nulltarif und Lebensmittel vor der Verschwendung retten
Ihre Haushaltskasse schonen und Lebensmittelverschwendung entgegenwirken können Sie im Übrigen auch, indem Sie Lebensmittel ganz legal retten. Schließen Sie sich einer lokalen Community oder einer bundesweiten Organisation wie foodsharing.de an und holen ungewollte und überproduzierte Lebensmittel in kleinen und großen Betrieben ab. Diese können Sie selbst verwerten, mit Nachbarn und Freunden teilen oder an gemeinnützige Organisationen weitergeben sowie über private WhatsApp-Gruppen oder über Facebook auch an unbekannte Interessierte.
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