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Der Fall des Berliner „U-Bahn-Treters“ sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Das brutale Geschehen war von einer Videokamera aufgezeichnet worden, so dass wir alle es uns später am Bildschirm anschauen konnten. Der erste Anlauf des Prozesses fiel ins Wasser, weil eine ehrenamtliche Richterin wegen Befangenheit abgelöst werden musste.

Die Schöffin hatte sich früher abfällig über kriminelle Jugendliche mit Migrationshintergrund geäußert. Viele Medien sprachen von einem Eklat und einer peinlichen Veranstaltung. Auch auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien war die Empörung groß. Der Vorwurf: „Täterschutz geht bei uns vor Opferschutz.“

 
 

Warum ist die Unbefangenheit der Richter so wichtig?

Natürlich ist ein Prozessabbruch wegen der Befangenheit eines Richters keine schöne Sache. Aber dennoch ist er mitunter unvermeidlich – wann man den Rechtsstaat ernst nimmt.

Richter sprechen ihre Urteile nun mal „Im Namen des Volkes“. Außerdem: „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.“ Dies steht so alles im Grundgesetz. Ein Angeklagter – und das kann jeder von uns einmal werden – kann also verlangen, dass sein Fall unvoreingenommen geprüft wird.

Das ist aber bereits dann nicht mehr der Fall, wenn nur die „Besorgnis“ der Befangenheit besteht. Es kommt also nicht darauf an, ob ein Richter zum Beispiel tatsächlich Vorurteile gegen Ausländer, Flüchtlinge, Muslime oder Schwule hat. Es reicht schon aus, wenn sich Tatsachen ergeben, die nur den begründeten Verdacht aufkommen lassen dass der Schöffe Ressentiments pflegt, die sein Urteilsvermögen trüben können. Schon dann ist ein Richter befangen.

 

Wer kann vor Gericht befangen sein?

Werfen wir an dieser Stelle zunächst einen kleinen Blick darauf, wer überhaupt Richter und somit „befangen“ sein kann. Es gibt natürlich die Berufsrichter. Ihnen zur Seite sitzen die sogenannten Schöffen. Man findet sie in größeren Strafprozessen, aber auch am Arbeits- und Sozialgericht und an den Handelskammern der Zivilgerichte.

Schöffen werden auf kommunaler Ebene in einem demokratischen Prozess ausgewählt. Oft gibt es Vorschlagslisten, etwa von karitativen Einrichtungen oder Parteien. Aber grundsätzlich hat jeder deutsche Staatsbürger die Möglichkeit, sich für ein Schöffenamt zu bewerben. Nur das Alter muss stimmen: Schöffe darf nur sein, wer zwischen 25 und 69 Jahre alt ist und keine nennenswerte Vorstrafe hat.

 

Was sind typische Fälle der Befangenheit, die Prozesse zum Platzen bringen?

Ich habe einige Beispiele herausgesucht:

  • Am Amtsgericht Wildeshausen hatte zum Beispiel eine Richterin einen schlechten Tag. Sie verweigerte dem Verteidiger in einer Bußgeldsache das Plädoyer und dem Betroffenen das letzte Wort. Hieraus kann man wohl schließen, dass das Urteil für die Richterin schon feststand, bevor sie die Argumente aller Seiten gehört hat. Ihre Kollegen fällten ein klares Urteil. Sie erklärten die Richterin für befangen (Aktenzeichen 3 OWi 859/16).
  • Noch eindeutiger scheint mir der Fall, in dem ein Strafrichter einem Angeklagten ins Gesicht sagte, dieser verkörpere für ihn den „Typus des Gewohnheitsverbrechers“. Hierfür fand der Bundesgerichtshof deutliche Worte und löste den Richter ab (Aktenzeichen 1 StR 558/60).
  • Auch Spott und Hohn, der mit dem Fall nicht direkt zu tun hat, kommen mitunter nicht gut an. Das musste ein Vorsitzender Strafrichter am Landgericht Rostock erfahren. Er zeigte sich auf seiner privaten Facebook-Seite mit einem Bierglas in der Hand. Auf seinem T-Shirt stand der Spruch: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“. JVA ist die Abkürzung für Justizvollzugsanstalt. Als Angeklagter wird man von einem solchen Richter nicht mehr viel Unparteilichkeit erwarten können, meine ich. So sah es auch der Bundesgerichtshof. Er entband den Vorsitzenden von seinem Verfahren.
  • Eher unglücklich verhielt sich auch ein Schöffe in einem Strafprozess am Landgericht Koblenz. Er stellte dem Staatsanwalt vor Beginn der Verhandlung am Nikolaustag zwei Schokoladennikoläuse auf den Tisch. Das sahen die Anwälte, und der Schöffe musste gehen. Immerhin konnte weiterverhandelt werden, weil das Gericht daran gedacht hatte, von Anfang an auch Ersatzschöffen auf die Richterbank zu setzen (12 KLs 2090 Js 29752/10).
  • Richter sind auch nur Menschen, das zeigt sehr schön der Fall einer Strafrichterin. Sie hatte während der Verhandlung SMS geschrieben. Ein Richter, der sich so bei seiner Arbeit ablenken lässt, ist befangen, urteilte der Bundesgerichtshof. Dabei spielte es in diesem Fall auch keine Rolle, dass die Richterin nach eigenen Angaben nur die Betreuung ihres Kindes organisieren wollte, weil die Sitzung mal wieder länger dauerte (Aktenzeichen 2 StR 228/14).

Ich bearbeitete neulich selbst einen Fall, bei dem Äußerungen eines Schöffen in sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle spielten. Für mich als Strafverteidiger ist es mittlerweile Routine zu checken, was sich über einen Schöffen im Netz findet. Die Online-Vergangenheit von Schöffen ist oft eine wahre Fundgrube. So auch in diesem Fall.

Der Schöffe hatte eine öffentliche Facebook-Seite. Auf dieser fiel er vor allem mit fremdenfeindlichen Äußerungen auf, außerdem mit überschwänglichem Lob für die Thesen von Thilo Sarazzin. Diese Äußerungen machte er nicht irgendwann. Er postete sie am Tag vor dem Prozessbeginn.

Mein Mandant hat einen Migrationshintergrund, ist islamischen Glaubens und es ging um ein Sexualdelikt. Mein Mandant bezweifelte wegen der drastischen Äußerungen des Schöffen natürlich – und wie ich finde zu Recht –, dass der Richter ihm noch unvoreingenommen begegnet. Diese Auffassung teilte auch das Landgericht Düsseldorf. Zwar gelte die Meinungsfreiheit auch für Schöffen, so die Richter. Aber herabsetzende Äußerungen in so einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Prozess deuteten darauf hin, dass der ehrenamtliche Richter sich auch schon auf ein Urteil festgelegt hat (Aktenzeichen 20 KLs 10/15).

Insgesamt möchte ich mit diesen Bespielen aber nicht den Eindruck erwecken, als wäre unsere Justiz ein Tollhaus. Die weitaus meisten Richter, egal ob Profi oder Schöffe, machen einen guten Job und pflegen einen sachlichen Umgang.

 

Anträge auf Befangenheit sind vor Gericht die Ausnahme

Deshalb sind Befangenheitsanträge auch immer nur ein letztes Mittel, zu dem auch wir Anwälte eher selten greifen müssen. Ich persönlich habe in über 20 Jahren als Strafverteidiger nur in einem Prozent der Fälle den Richter wegen Befangenheit abgelehnt. Aber in diesen Situationen war es dann auch wirklich notwendig. Und deshalb sollten wir es auch nicht bedauern, wenn ab und zu ein Prozess neu aufgerollt werden muss. Der Rechtsstaat sollte es uns wert sein.

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