Pflichtteil – das Recht der Enterbten
Das gibt Sicherheit: Kinder, Ehepartner und eingetragene Lebenspartner gehen beim Erbe nicht so schnell leer aus. Alles zum Pflichtteil.
23.06.2015
„Ich enterbe dich!“ ist im Streit zwar schnell gesagt, in der Realität aber nur äußerst selten möglich. Denn auch wenn man sich entzweit, gibt es im Erbrecht immer noch eine „Rettung für Enterbte“: den Pflichtteil.
Sein Vermögen kann jeder grundsätzlich so verteilen, wie er es für richtig hält. Diese sogenannte Testierfreiheit ermöglicht es, sogar gesetzliche Erben über das Testament zu enterben, sie also vom Erbe auszuschließen. Dennoch gehen Sie als gesetzlicher Erbe nicht leer aus: Sie können Ihren Pflichtteil verlangen. Denn Sie haben immer noch einen Anspruch auf den Wert des halben gesetzlichen Erbteils, den Sie ohne das Testament erhalten hätten.
Pflichtteilsberechtigt sind Ehepartner, eingetragene Lebenspartner und Kinder übrigens immer. Die Eltern des Erblassers nur dann, wenn keine Kinder oder Enkel vorhanden sind. Partner aus eheähnlichen Gemeinschaften haben keinen Pflichtteilsanspruch.
Beim Pflichtteil geht es übrigens immer um Geld, also den Wert des Nachlasses, und nicht um einzelne Gegenstände. Manchmal ist nicht genug Bares da, um einen Pflichtteil direkt auszuzahlen. Wer zur Erfüllung der Ansprüche beispielsweise das geerbte Haus verkaufen muss, kann eine Stundung verlangen.
Ist „sich arm schenken“ möglich?
Häufig verschenken Erblasser kurz vor ihrem Tod Vermögensteile – beispielsweise an Pflegepersonen oder Menschen, die sie versorgen. Und manchmal auch, um bewusst den Pflichtteil zu schmälern. Doch das Motto „Was weg ist, ist weg!“ geht nicht auf: Sie können verlangen, dass Schenkungen der letzten zehn Jahre zum Nachlass hinzugerechnet werden. Dabei gilt allerdings: Je länger die Schenkung her ist, desto weniger wird sie berücksichtigt. Eine Schenkung wird nur im ersten Jahr vor dem Erbfall voll in die Berechnung einbezogen.
Wann der Anspruch auf den Pflichtteil verjährt
Nach drei Jahren ist der Pflichtteilsanspruch verjährt. Das heißt, dass Sie als Pflichtteilsberechtigter nach Ablauf dieser Frist keine Forderungen gegen die Erben mehr stellen können. Diese Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Todesfall eingetreten ist. Aber nur dann, wenn Sie auch davon wissen, dass Ihr Verwandter gestorben ist und dass er Sie enterbt hat. Ohne eine solche Kenntnis verjähren Pflichtteilsansprüche erst nach 30 Jahren.
Wann kann der Pflichtteil entzogen werden?
In seltenen Fällen kommt es vor, dass beispielsweise pflichtteilsberechtigte Kinder erbunwürdig sind. Etwa falls sie den Eltern oder ihren Geschwistern nach dem Leben trachten. Auch bei Verbrechen oder schweren Vergehen gegen diese Personen kann der Pflichtteil entzogen werden – wenn zum Beispiel der Sohn der Erblasserin ihren langjährigen Lebensgefährten tötet. Unter Umständen genügt dafür auch eine andere vorsätzliche Straftat mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe, wenn der Pflichtteilsanspruch des Kindes den Eltern dadurch nicht zumutbar wäre.
Früher konnte „ehrloser und unsittlicher Lebenswandel“ ein Grund für einen Pflichtteilsentzug sein. Das war aber oft zu unbestimmt und wurde bei der letzten Erbrechtsreform gestrichen.
Fall 1:
Die Erblasserin hatte zwei Söhne. Ein Sohn litt seit langer Zeit an einer schizophrenen Psychose, konnte sich selbst nicht steuern und wurde oft gewalttätig. Die Mutter enterbte ihn und entzog ihm den Pflichtteil. 1994 tötete der kranke Sohn seine Mutter; er konnte wegen seiner Schuldunfähigkeit strafrechtlich nicht belangt werden und wurde lebenslänglich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Der enterbte Sohn verlangte von seinem Bruder den Pflichtteil, weil er bei Tötung der Mutter nicht schuldfähig war.
Das Oberlandesgericht Köln gab dem enterbten Sohn Recht (Az.: 1 U 108/98). Wegen seiner Erkrankung sei er nicht erbunwürdig. Der andere Sohn rief das Bundesverfassungsgericht an. Dieses entschied, dass der enterbte Sohn erbunwürdig gewesen war und den Pflichtteil nicht verlangen konnte, weil er in einem natürlichen Sinne vorsätzlich gehandelt hatte, auch wenn er strafrechtlich nicht belangt werden konnte. (Az.: 1 BvR 1644/00).
Fall 2:
Ein mit 85 Jahren verstorbener Erblasser litt an einer Lungenerkrankung und Herzrhythmusstörungen. Er hatte großen Streit mit seinem Sohn, der seinem Vater daraufhin den Umgang mit seinem Enkelkind verbot. Der fehlende Kontakt zu seinem Enkelkind belastete den Erblasser und führte zu einer wesentlichen Verschlechterung seiner Herzleiden, weshalb der Erblasser seinen Sohn enterbte und ihm auch den Pflichtteil wegen Erbunwürdigkeit entzog.
Hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Erbunwürdigkeit nur bei körperlichen Misshandlungen möglich ist. Psychische oder seelische Beeinträchtigungen führten nicht zur Erbunwürdigkeit des enterbten Kindes. Deshalb war die Pflichtteilsentziehung unwirksam (Az.: 1 BvR 188/03).
Oft sind Eltern großzügig und unterstützen ihre erwachsenen Kinder, zum Beispiel bei der Anschaffung eines neuen Autos, beim Kauf eines Hauses oder in einer schwierigen Lebenssituation. Mit solchen so genannten Vorausempfängen kommen sie früher in den Genuss eines Teils des Vermögens. Gleichzeitig verringert sich das Gesamterbe – manchmal zum Nachteil der anderen Geschwister. Erbstreitigkeiten sind so vorprogrammiert.
Um eine faire Vermögensaufteilung unter Geschwistern sicherzustellen, raten wir den Schenkern, den Geldsegen mit der Auflage zu verbinden, diesen später auf den Pflichtteil anzurechnen. Die Anrechnungsbestimmung muss vor oder zumindest gleichzeitig mit der Zuwendung erfolgen. Nachträgliche Bestimmungen können mit Einwilligung des Pflichtteilsberechtigten notariell beurkundet werden.
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